Sachmangel beim Pferd, Ersatzlieferung durch den Pferdehändler, Rückabwicklung Pferdekaufvertrag

Pferdekaufrecht für informierte ReiterInnen:

Weit verbreitet ist die Vorstellung: „Kaufe ich als Privater ein Pferd beim Pferdehändler oder auch beim Züchter, kann ich den Kaufvertrag rückabwickeln, wenn das Pferd mangelhaft ist und sich der Mangel innerhalb von sechs Monaten zeigt.“

Bilden wir einen Fall:
Eine Mutter ist auf der Suche nach einem Reitpony für ihre talentierte 12 jährige Tochter, mit ihrem jetzigen Reitpony ist sie erfolgreich in A-Dressuren unterwegs. Das jetzige Pony ist schon 14 Jahre alt und für den Einsatz in L-Dressuren nicht gut genug, außerdem soll die kleine Schwester es in E-Dressuren vorstellen würde. Deshalb wendet sich die Mutter an den Pferdehändler ihres Vertrauens, mit der Bitte ein Reitpony zu suchen, das schon erfolgreich in L-Dressuren war, es soll zwischen 9 und 11 Jahren alt, brav und von einem Mädchen zu reiten sein. Ihre Preisvorstellung liegt bei bis 11.000 €.
Der Pferdehändler verkauft mehrere Reitponys der gewünschten Qualität in dieser Preisklasse, er hat einen guten Ruf. Mutter und Tochter lassen sich vier Ponys zeigen, drei reitet die Tochter. Ihnen gefallen zwei der drei ausprobierten Ponys gut. Ein Ponywallach ist 10 Jahre alt, kostet 10.000 € der andere Wallach ist neun Jahre alt und kostet 11.000 €. Sie fahren danach noch einmal zum Probereiten der beiden Ponys. Das Bild bleibt unverändert, T kommt mit beiden Ponys gut klar und nach kurzer Überlegung kauft M den 10 jährige der beiden Ponys bei P.

Eine Kaufuntersuchung hält M nicht für nötig, weil das Pony in den letzten zwei Jahren etliche Platzierungen in L-Dressuren hatte und auch sonst keine Auffälligkeiten im Bewegungsablauf zeigt, geht sie davon aus, dass es in den letzten Jahren gesund gewesen sein muss. Der Vertragsschluss wird per Handschlag besiegelt und nachdem die Mutter den Kaufpreis von 10.000 € gezahlt hat, übergibt der Pferdehändler das Pony am 01.06.2010.

Seit dem 01.07.2010 ist das Pony vorne rechts lahm, der Tierarzt weiß keinen Rat, es gebe keine Anzeichen für eine akute Verletzung und weil es am 15.07. immer noch lahmt, fertigt er Röntgenbilder an. Es stellt sich heraus, dass das Pony eine Veränderung am Gleichbein hat, die die Lahmheit auslöst, der Röntgenbefund dürfte nach dem Röntgenleitfaden in die Röntgenklasse drei bis vier einzustufen sein.

Die Mutter wendet sich wutschnaubend an den Pferdehändler und fordert den Kaufpreis zurück, sie will das Pony wieder loswerden und an ihn zurückgeben, außerdem verlangt sie die Stallmiete zurück und die Tierarztkosten. Darauf will sich der Pferdehändler nicht einlassen, er erwägt aber, ihr das andere Pony im Austausch zu geben. Die Mutter weist diesen Vorschlag zurück, das könne er sich jetzt auch behalten, mit ihm wolle sie nichts mehr zu tun haben.

Wie würden Sie entscheiden?

Kann M das Vorliegen eines Sachmangels beweisen?
Die Lahmheit des Pferdes stellt an sich einen Sachmangel dar, weil ein lahmendes Pferd nicht der vertraglich vorausgesetzten Verwendung entspricht. Hier ist zwar schriftlich nicht vereinbart worden, dass das Pony zum Einsatz in L-Dressuren gekauft worden ist, aber mindestens ist es zum Einsatz als Reitpony verkauft worden, ein lahmes Pferd ist aber nicht als Reitpferd einsetzbar, wir können also getrost davon ausgehen, dass das Pferd zum 01.07.2010 tierärztlich festgestellt lahm und damit mangelhaft war. Dies lässt sich im Falle eines Rechtstreits auch durch Zeugenaussagen insbesondere durch die des behandelnden Tierarztes beweisen.
Damit hat die Mutter aber noch nicht bewiesen, dass das Pferd zum im Kaufrecht maßgeblichen Zeitpunkt des Gefahrübergangs (hier: Übergabe des Pferdes) mangelhaft war.
Das muss sie dann nicht, wenn sie von einem Unternehmer gekauft hat und sich der Mangel innerhalb der ersten sechs Monate zeigt.
Dieser Punkt ist in unserem Fall leicht, lahmte das Pony doch schon nach einem Monat.
Dann wird gesetzlich vermutet, dass der Mangel schon von Anfang an vorhanden war.

Wenn nicht die Art des Mangels mit dieser Vermutung unvereinbar ist.
Auch bei den Gerichten ist mittlerweile angekommen, dass Pferde innerhalb kurzer Zeit aus vielen verschiedenen Gründen lahmen können (so z.B. OLG Zweibrücken). Insofern kann die Mutter sich nicht darauf verlassen, dass ein Gericht die innerhalb von sechs Monaten aufgetretene Lahmheit allein ausreichen lässt. Unter Umständen muss M also auch die Ursache der Lahmheit nachweisen, zumindest nach dem OLG Zweibrücken muss sie nachweisen, dass die Ursache des Mangels = Lahmen nicht in ihrer Besitzzeit des Ponys entstanden ist. Im streitigen Verfahren wird ein Gericht hier immer ein tierärztliches Sachverständigengutachten einholen.
Ihr helfen jedoch die Röntgenbilder vom 15.07.2010. Nach dem Bundesgerichtshof ist ein Röntgenbefund der Klasse drei zwar ohne klinische Auffälligkeiten nicht als Mangel eines Reitpferdes anzusehen, aber das Pony lahmte und hat einen Röntgenbefund der Klasse drei bis vier infolge der Gleichbeinveränderung vorne rechts.
Insgesamt kann man davon ausgehen, dass das Pony einen kaufrechtlichen Sachmangel aufweist, der in zeitlicher Hinsicht die Vermutung auslöst. Die Muter muss also nicht mehr beweisen, dass das Pferd zum Zeitpunkt der Übergabe bereits mangelhaft war. Dann hätte sie es mutmaßlich ja gar nicht erst gekauft.

AHA – und dann kann die Mutter also den Kaufvertrag rückabwickeln, das Pferd zurückgeben, den Kaufpreis zurückfordern und Ersatz aller Kosten verlangen, die durch das Pferd entstanden sind?

Wenn es so einfach wäre, könnte es ja jeder!

Die eigentliche „Musik“ des Falles spielt neben den „normalen“ kaufrechtlichen Fallstricken aus der Sicht der Mutter genau hier:

Sie erinnern sich – das Mädchen hat zwei Ponys ausprobiert – und beide entsprachen den Vorgaben der Mutter; in diesem Fall hat der Pferdehändler die Möglichkeit, das neunjährige Pony zum Kaufpreis des 10 Jährigen zu liefern!
Der Verkäufer hat innerhalb einer angemessenen Frist, die Pflicht – aber auch das Recht – der Nacherfüllung. Nacherfüllen kann er entweder durch „Nachbessern“ das scheidet bei unserem Pony aus, aber unter Umständen auch durch „Ersatzlieferung“, das könnte er in unserem Fall. Wenn die Mutter Pech hat, würde eine Klage auf Rückabwicklung des Kaufvertrages alleine deshalb abgewiesen werden, weil sie dem Pferdehändler keine Frist zur Nacherfüllung gesetzt hat.
Die Vorgaben der Mutter an den Pferdehändler: ein Pony, L-Dressur, neun bis 11-jährig bis 11.000 €, brav und von Kind zu Reiten, können den Pferdekauf im Einzelfall zum Gattungskauf machen. Es gibt viele Reitponys, die den Vorgaben der M entsprechen und ein weiteres hat der Pferdehändler unter Umständen im Angebot.

Grundsätzlich sollte man meinen, Pferdekäufe unterscheiden sich doch erheblich von dem Kauf eines Iphones. Das gekaufte Pferd ist aus Käufersicht selten austauschbar, neben gewünschten Qualitätsmerkmalen sind es Wesensmerkmale des Pferdes, die eine Kaufentscheidung tragen. Wer kauft schon ein Pferd, das er nicht mag?
Nur stehen diese höchst persönlichen Auswahlkriterien selten in den geschlossenen Kaufverträgen und sie lassen sich nur schwer im Nachhinein darstellen.

Aus Sicht des Pferdehändlers ist die Sachlage einfach und nachvollziehbar, er kann das gewünschte Pferd liefern.
Man mag die Rechtsprechung, die das Pferd zur „Gattungsschuld“ macht, kaufrechtlich also einem iphone, einer Mikrowelle oder einem Stuhl gleichstellt und es damit „ersatzgeliefert“ werden kann, verteufeln, aber lesen Sie doch noch mal die Vorgaben der Mutter und versetzen Sie sich dann in die Lage des Gerichts und dann noch einmal:

Wie würden Sie entscheiden?

Wenn das Pferd nicht mit oder bei den Vertragsverhandlungen konkretisiert wird, der Käufer nicht zum Ausdruck bringt, warum er das und zwar nur das eine Pferd kaufen will, kann ihm vielleicht auch ein anderes auf`s Auge gedrückt werden.
Im Rahmen der Vertragsfreiheit ist alles eine Frage der Vereinbarung!

Jennifer Stoll
Rechtsanwältin